Das Lehrgedicht Liber de cultura hortorum (abgekürzt „Hortulus“ ) ist zwischen 842 und 849 vermutlich auf der Reichenau im Bodensee entstanden. Die 444 in lateinischer Sprache verfassten Hexameter mit hohem literarischen Rang sind voll von detailgenauen Naturbeobachtungen.
Wahlafrid Strabos „Hortulus“ und die Klostermedizin

Historische Einordnung
Die Einführung zur Klostermedizin orientiert sich an einem Text von Johannes Gottfried Mayer und Konrad Goehl (Einführung zum „Macer floridus“: Höhepunkte der Klostermedizin –der “Macer floridus” und das Herbarium des Vitus Auslasser).
Die Klostermedizin entstand im 6. Jahrhundert am Übergang der Spätantike zum Frühmittelalter. Damals herrschte Chaos in Europa, das Beamtentum des weströmischen Reiches löste sich auf, und in Italien marodierten germanische Stämme. Zudem wurde das Land von den “Justinianische Pestwellen“ heimgesucht. In Mekka auf der Arabischen Halbinsel wurde Mohammed geboren, der eine Weltreligion begründen wird.
Beginn der Klostermedizin in Italien
In Italien begründete Benedikt von Nursia den Benediktiner-Orden und damit das Mönchtum, wie wir es kennen. Dem sich nun organisierenden Klosterleben waren zuvor im 4. und 5. Jahrhundert klosterähnliche Gemeinschaften, z.B. um Ambrosius von Mailand und um den Kirchenvater Augustinus vorausgegangen.
Die Benediktinischen Regeln wurden in 73 Kapiteln niedergeschrieben. Eine bedeutende und am meisten zitierte ist „Ora et labora“.
Regel 36 behandelt die Pflege der Kranken, und sie markiert den Anfang der Klostermedizin. Nach und nach entstanden weitergehende Handlungsanweisungen. Ihrem Bildungs-Ideal folgend lasen die Mönche fleißig Bücher und vervielfältigten sie durch Abschrift. Damit sorgten sie für die Verbreitung und Bewahrung des Wissens.
Cassiodorus und Isidor von Sevilla
Im Kloster Vivarium entstand die Schule des Cassiodorus (gest. ca. 580), in der Mönche die Verwendung medizinischer Kräuter erlernten. Zur Lektüre empfahl Cassiodorus seinen Schülern die Schriften des Dioskurides, die “Naturalis historia” von Plinius dem Älteren und andere Werke der Antike. Plinius avancierte zur wichtigsten Inspirations-Quelle für die Klostermedizin und beeinflusste ihre Schriften wie den “Macer”. Auf diese Weise rettete Cassisodorus römisches Wissen ins frühe Mittelalter hinüber.
Ein weiterer viel gelesener Autor und Kompilator des antiken Wissens war Isidor von Sevilla. Als das römische Beamtentum in karolingischer Zeit endgültig verschwand, wurden die Klöster für den Wissenserhalt und -transfer umso bedeutender. Gleichzeitig wuchs der Analphabetismus der Bevölkerung.
Klöster wurden mit dem Schulwesen und außerdem mit zahlreichen landwirtschaftlichen Aufgaben betraut. Damit sie diese auch wahrnehmen konnten, wurden ihnen großzügig Ländereien zugeteilt.
Beginn der Klostermedizin auf deutschem Boden
Die ersten Zeugnisse einer deutschen Klostermedizin stammen aus der Epoche Karls des Großen und seines Sohns Ludwig des Frommen.
Vermutlich im Jahre 830 wurde der St. Galler Klosterplan als Blaupause für die Anlage eines Klosters auf der Bodensee-Insel Reichenau verwirklicht. Der Plan sah ein “Infirmarium” (=Krankenhaus), einen Kräutergarten und ein Lagerhaus für Drogen (Apotheke) als unverzichtbare Elemente eines Klosters vor.
Lorscher Arzneibuch und der „Hortulus“
Das älteste erhaltende Kompendium der Klostermedizin ist das Lorscher Arzneibuch, das noch vor 800 AD in Lorsch bei Worms verfasst wurde.
Es beginnt überraschender Weise mit einer Verteidigung der Medizin. Die war anscheinend erforderlich, weil die Heilkunst vom frühen Christentum an als heidnisches Wissen geschmäht wurde. Erst unter Vermittlung der Kirchenväter Ambrosius und Augustinus wurde sie zögerlich wieder akzeptiert. Das Lorscher Arzneibuchs fusst auf spätantikem Wissen. Davon wird nur in gut begründeten Fällen abgewichen, wenn etwa zur “Kostendämpfung” der Rückgriff auf einheimische Kräuter als Ersatz für die kostspieligen Heilkräuter aus dem Orient empfohlen wird. Diesen Pflanzen widmet sich auch das in Hexametern verfasste Lehrgedicht “Hortulus” von Wahlafrid Strabo, das allerdings weniger ein medizinisches, denn ein gartenkundliches Werk ist.
„Macer floridus“
Beim gleichfalls in Hexametern geschriebenem “Macer” standen die therapeutischen Wirkungen der Pflanzen eindeutig im Vordergrund. Der “Macer floridus” des Odo Magdunensis (er stammt aus dem heutigen Meung sur Loire) avancierte zum erfolgreichsten Buch der Klosterheilkunde. Das Lehrgedicht war in allen Bibliotheken vertreten und viel präsenter als Hildegard von Bingens “Physica”. Der „Macer“ orientierte sich an der aus dem Griechenland des 6. bis 4. Jahrhunderts v. Chr. stammenden Humoralpathologie und den korrespondierenden Qualitäten von Pflanzen. Krankheiten entstehen demzufolge durch ein Ungleichgewicht der Elemente Wasser, Schleim ((P)Flegma), Luft (Blut, Sanguis), Feuer (Galle, Colera) und Erde (schwarze Galle, Melanchol). Die therapeutisch eingesetzten Pflanzen sollten mit ihren jeweils komplementären Eigenschaften das Gleichgewicht der Elemente und damit die Gesundheit wieder herstellen. Ihre Qualitäten wurden noch mit Angaben zum Wirkungsgrad verfeinert.
Diese systematische Einordnung der Arzneipflanzen war vermutlich bereits im Schrifttum der Antike angelegt, aber in Gänze erstmals bei Konstantin Africanus (gest. 1087) zu fassen. Konstantin wirkte am Benediktiner-Kloster Monte Cassino und übersetzte die griechischen und arabischen Werke der Medizin ins Lateinische.
Medizinschule von Salerno und das „Circa Instans“
Von den Übersetzungen des Konstantin Africanus profitierte die Medizinschule von Salerno. Konstantin handelte mit Heilkräutern und bereiste den gesamten Mittelmeerraum. Das Erblühen der salernitatischen Schule im 10. – 13. Jahrhundert lag auch an der Förderung durch den Staufer Friedrich II. Das “Circa instans” wurde zum einflussreichsten Werk dieser Schule. Berühmt wurde das Edikt von Salerno, das zu der bis heute gültigen Trennung der Ärzte- und Apothekerständen führte.
Hildegard von Bingens „Physica“
Das heutzutage so populäre Hildegard von Bingen (1098-1179) orientierte sich gleichfalls an der Viersäftelehre. Aus ihrer Feder stammt das umfangreichste und zugleich auch letzte Werk der Klostermedizin. Hildegard griff die Anweisungen des Galenos von Pergamon (129-216) auf und ergänzte sie um eigene Akzente.
In ihrer “Physica” – ursprünglich “Liber simplicis medicinae” – beschrieb sie die ihr bekannten Heilpflanzen in über 200 Kapiteln und ließ dabei theologische und moralische Erwägungen mit einfließen. So hielt es Hildegard für möglich, dass manche Pflanzen unter diabolischem Einfluss stehen.
Die Wirkung von Hildegards Werken war in ihrer Zeit gering. Die Drogenkunde wurde bis weit nördlich über die Alpen hinaus von der Schule von Salerno beherrscht. Danach gingen von Klöstern keine wesentlichen Impulse mehr für die Medizin aus.
Klöster beschränkten sich wieder auf ihr „Kerngeschäft“ der Liturgie und Kontemplation. Erst im 13. Jahrhundert und damit deutlich nach einer abgeschlossenen Rezeption der Werke aus Salerno entstanden mit Albertus Magnus (“De vegetabilibus”) neue Texte, die sich als botanische Meilensteine erweisen sollten.