Von Mitte April bis Anfang Mai blühen die Hasenglöckchen. Meist sind es die beiden schwer unterscheidbaren Arten Hyacinthoides non-scripta (Bild) und H. hispanica.

Endymion und Hyacinthoides
Botanisches Verwirrspiel mit Namen klassischer Helden
Der wissenschaftliche Name der Hasenglöckchen Hyacinthoides verweist auf die Ähnlichkeit der Gattung mit den allgemein bekannteren Hyacinthen. Zeitweilig war für sie auch der später publizierte Gattungsname Endymion gebräuchlich.
Botaniker bedienten sich für Pflanzennamen bei der Klassik
Endymion und Hyacinthus sind beide aus der griechischen Mythologie entlehnt. Botaniker vergangener Jahrhunderte waren auf ihre klassische Bildung stolz und bedienten sich an ihr, um Pflanzen zu benennen. Der belgische Botaniker Barthélemy Charles Joseph Dumortier (1797 – 1878) folgte dieser Tradition, indem er die ansehnlichen Hasenglöckchen nach einer attraktiven Figur der griechischen Sagenwelt Endymion nannte.
Endymion und Selene
Endymion war der schlafende Liebhaber der Mondgottheit Selene. Ihre skurrile Geschichte hat die Kunstwelt fasziniert. Die Szene, in der Selene den schlafenden Endymion aufsucht, ist mehrfach in der Malerei dargestellt worden. Selene verliebt sich in Endymion. Sie versetzt ihn in eine Höhle des Bergs Latmos in Karien und lässt ihn mit der Hilfe von Zeus in ewigen Schlaf sinken. So bewahrt sie ihn vor dem Tod und schenkt ihm ewige Jugend. Sie besucht ihn jede Nacht und zeugt mit ihm nach und nach fünfzig Töchter.
Wie fand der Name zur Pflanze?
Den heute gültigen Namen Hyacinthus non-scriptus für das Hasenglöckchen vergab Linné 1753 in „Species Plantarum“. Mit dem Art-Epitheton „non-scriptus“ sollte deutlich werden, dass die Pflanze im Gegensatz zu der für die klassischen griechischen Autoren legendären Hyacinthe (Hyacinthus orientalis) in der Mythologie eben nicht beschrieben oder besungen wurde.
Das Epitheton „non- scriptus“ macht also nur Sinn, solange die Art innerhalb der Gattung Hyacinthus verbleibt. Doch genau das ist schon seit 1803 aufgrund relevanter Unterschiede der Gattungen nicht mehr der Fall. Das Hasenglöckchen wurde zunächst zu Scilla non-scripta, danach zu Endymion non-scriptus und schließlich zu Hyacinthoides non-scripta umbenannt.

Das Gemälde „Der Schlaf des Endymion“ schuf Anne-Louis Girodet-Trioson (1767-1824), ein angesehener Maler und Schüler des noch bekannteren Historienmalers Jaques-Louis David. Dank seiner umfassenden Bildung konnte Girodet-Trioson seine Bilder intellektuell und symbolisch aufladen, wofür „Endymion“ ein perfektes Beispiel ist.
Und was haben die Hyacinthe und der Rittersporn damit zu tun?
Die mythologische Hyacinthe soll dem Blut des sterbenden Hyacinthos entsprossen sein, nachdem dieser von einem Diskus tödlich getroffen wurde. Sein Liebhaber Apollo soll auf die Blütenblätter der Blume die Buchstaben AI geschrieben haben, um die Schmerzensschreie AI AI („ach“) des Sterbenden für die Nachwelt festzuhalten.
Doch etwas an dieser Geschichte passt nicht. Eine an die Buchstaben AI erinnernde Signatur lässt sich an der Hyacinthe überhaupt nicht erkennen. Mit etwas Phantasie findet man sie jedoch auf den Blütenblättern des Rittersporns (Consolida ajacis). Vielleicht war ja der Rittersporn die aus dem Blut des Hyacinthos gezeugte Pflanze. Das jedenfalls vermutet Helmut Baumann in seinem Werk „Die griechische Pflanzenwelt in Mythos, Kunst und Literatur“.
Es wäre nicht der einzige Fall einer Fehlidentifikation von Pflanzen der klassischen Literatur. Beim Rittersporn bringt man die Buchstaben AI auch mit Aias in Verbindung (daher das Epitheton „ajacis“). Aias, der Telamonier, war einer der wichtigsten Helden im trojanischen Krieg, und er gab dem Fußballverein Ajax Amsterdam den Namen. Nach einer Niederlage im Kampf richtete er sich selbst mit dem Schwert.

In England, wo sie wohl einheimisch ist, wird die hübsche Frühlingsblume „Wild Hyacinth“ oder „Fairy flower“ genannt.

Der Feld-Rittersporn (Consolidas ajacis). Man benötigt ein wenig Phantasie, um auf den Blütenblättern die Buchstaben „AI“ zu erkennen.
Noch mehr klassische Namen
Doch führen wir die Namen-„Odyssee“ des Hasenglöckchen noch zu Ende. Die Botaniker Johann Centurius von Hoffmansegg und Johann Heinrich Friedrich Link überführten die Art 1803 von Hyacinthus in die Gattung Scilla (auch ein mythologischer Name), bevor Christian August Friedrich Garcke sie in die Gattung Endymion stellte. Beide Namen sind noch vielfach in Gebrauch. Seine heute gültige Position in der Gattung Hyacinthoides erhielt das Hasenglöckchen 1934 durch Pierre Chouard. In England, wo sie wohl einheimisch ist, wird die hübsche Frühlingsblume „Wild Hyacinth“ oder „Fairy flower“ genannt. Ebenfalls gebräuchlich ist der Name „Bluebell“.
In Deutschland ist das Hasenglöckchen ein Neophyt mit größeren Populationen am Niederrhein und in der Umgebung von Aachen.
Die Übersetzung des deutschen Namens Hasenglöckchen ins Englische führt noch zu weiterer Verwirrung. Hare-bells sind in England die Glockenblumen (Campanula rotundifolia), und nur in Schottland heißt Hyacinthoides tatsächlich Hare-bell.