Rote oder Rotfrüchtige Zaunrübe
Die Rote Zaunrübe rankt am Zaun einer Schule. Etwa 10-15 ihrer Beeren können für Kinder tödlich sein, so steht es in der Literatur. Aber so genau weiß man das eigentlich nicht, und die Schüler und ihre Eltern scheinen unbesorgt zu sein.
Vom Pflanzenstoff Lycopin gefärbt leuchten die Beeren wie reife Tomaten. Doch kommt es glücklicherweise nur selten vor, dass Kinder die scharf schmeckenden Früchte essen. Sie lassen sich vielleicht zum Probieren verleiten, doch dann spucken sie sie wieder aus.
Traditionelle Medizinalpflanze
Die Zaunrübe ist eine Arzneipflanze der Volksmedizin. Die Droge wurde nicht aus den Lycopin-kolorierten Beeren, sondern aus der kräftigen und tief im Boden sitzenden rübenartigen Wurzel gewonnen. Apotheker bezeichnen sie als Bryoniae Radix und schreiben ihre Heilwirkungen den enthaltenen bitter-schmeckenden Glykosiden wie vor allem dem Bryonin zu.
Bei Überschreiten der Schwelle zur Vergiftung werden die Patienten von Erbrechen, Durchfall, Krämpfen und mitunter noch Schlimmerem geplagt. Heute wird Bryoniae Radix kaum mehr wie früher gegen Geschwüre und Tumore eingesetzt.
Nur Namen wie Ophiostaphylos bei Dioskurides oder Gichtrübe in der Volksmedizin erinnern noch daran, wie breit-gefächert die Zaunrübe einmal verwendet wurde. Ophiosstaphylos bedeutet so viel wie Schlangenwein, und vermutlich war die Zaunrübe eine der vielen Pflanzen, die rund ums Mittelmeer bei Schlangenbissen helfen sollten.
Einige medizinische Indikationen hat sich die Zaunrübe auch von der ähnlich aussehenden Wurzel der Alraune geborgt. Das geschah im Glauben an Signaturen, die angeblich im Aussehen der Pflanze mitteilten, wozu sie zu verwenden sei.
Die Beeren wurden anscheinend auch zur Enthaarung von Tierhäuten verwendet, und ganz junge Triebe wurden im zeitigen Frühjahr als Gemüse geerntet. In diesem Stadium sind sie offenbar noch ungiftig. (siehe hierzu „Kulinarik im Frühling“ auf dieser Webseite https://botany-bay.de/portfolio/kulinarisches-fruehlingserwachen/).
Die einhäusige Schwesternart Weiße Zaunrübe (Bryonia alba)
Die im Südwesten Deutschlands verbreitete Rote Zaunrübe hat mit der östlich vorkommenden Weißen Zaunrübe (Bryonia alba) ein einhäusiges Pendant.
Was der wissenschaftliche Name über die Zaunrübe verrät
Auch nach dem Ende ihrer medizinischen Karriere bleibt die Zaunrübe spannend. Ihr wissenschaftlicher Name hat sich von Bryonia dioica zu Bryonia cretica ssp. dioica geändert. Tatsächlich wurde die Art 1753 von Linné als eine Pflanze Kretas beschrieben. Die mitteleuropäischen Pflanzen benannte der Wiener Botaniker Jacquin 1775 als Bryonia dioica. Mit dem Art-Epitheton „dioica“ nahm er Bezug auf das wichtige Merkmal der Zweihäusigkeit (Diözie), das Linné offenbar übersehen hatte. Der Schwede gruppierte die Art sogar ausdrücklich bei den Einhäusigen ein (Klasse Monoecia). Da man heute der Auffassung ist, dass Linné und Jacquin letztendlich die gleiche Art beschrieben haben, gilt der ältere Name Linnés – trotz des verwirrenden Hinweises auf Kreta.
Etwa 7% der Blütenpflanzen sind zweihäusig. Bei der Zaunrübe kann man leicht übersehen, dass sich männliche und weibliche Blüten auf getrennten Pflanzen befinden. Meist umgarnen sich beide Geschlechter so eng, dass es nicht auffällt, dass nur die weiblichen unter ihnen Früchte entwickeln.
Wachstumsschübe und Klettergeschick
Jedes Jahr schießen die Triebe der Zaunrübe aufs Neue mit eindrucksvoller Geschwindigkeit aus dem Boden empor. Die an die Größe einer Zuckerrübe heranreichende überwinternde Wurzel liefert die Nährstoffe für diesen Wachstumschub.
Der aus der Antike übermittelte Name Bryonia heißt soviel wie wild-wucherndes Rankgewächs. Mit ihren Ranken verankern sich die bis zu 4-5 Meter langen Triebe fest auf ihren Kletter-Unterlagen.
Dabei hilft ihnen eine Besonderheit, die anderen rankenden Gewächsen fehlt. Die Ranken verbinden sich an ihrer Spitze mit ihrer Unterlage, indem sie sich schraubenartig eindrehen. Zeitgleich dreht sich auch die Basis der Ranke in gegenläufiger Orientierung. Wo die einmal links- und dann rechts-windenden Ranken-Abschnitte zusammentreffen, verläuft ein 0,5 bis 1 cm langes gerades Teilstück. Diese elastisch-federnde Konstruktion verleiht den Ranken eine außergewöhnliche Stabilität.
Insekten trotzen den Giften der Zaunrübe
So problematisch die Pflanzensäfte der Zaunrübe für die Menschen auch sein mögen, so willkommen sind sie einigen Insekten. Der Zaunrüben-Marienkäfer (Henosepilachna argus) ernährt sich von ihnen.
Auch die aus den Tropen eingewanderte Reis-Wanze (Nezara viridula) fühlt sich auf der Zaunrübe genauso wohl wie auf anderen Kürbisgewächsen. Offenbar vermehrt sie sich auch auf ihnen, denn ihre Nymphen sind manchenorts in großer Zahl auf Zaunrüben anzutreffen.